Der taumelnde
Immobilienmarkt
Kontrollierter Kollateralschaden
oder drohender Kollaps?
Die Preise von Immobilien in Deutschland sind insbesondere außerhalb der Ballungszentren deutlich unter Druck geraten. Mit rund 20% des Bruttoinlandsprodukts sowie einem Netto-Anlagevermögen von etwa 16,8 Billionen Euro in Wohn- und Wirtschaftsbauten sowie Grundstückswerten im Jahr 20211 ist der Immobiliensektor ein echtes Schwergewicht der deutschen Wirtschaft und Finanzwelt. Daher beobachten wir die Schockwellen, die aktuell von ihm ausgehen, sehr genau und analysieren, ob eine schwere Krise wie im Jahr 2007 in den USA, die in der Weltfinanzkrise mündete, ausgelöst werden könnte.
1Vergleich ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss, Spitzenverband der Immobilienwirtschaft
Lange Zeit wurden Immobilienbesitzer in Deutschland mit steigenden Bewertungen verwöhnt und für ihre Investition entlohnt. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase kam es jedoch zu einem Paradigmenwechsel im Immobilienmarkt. Durch die gestiegenen Finanzierungskosten sowie die inflationsbedingt hohen und sehr dynamischen Baukosten kam es in den meisten Bereichen zu fallenden Immobilienpreisen und rasant zunehmenden Insolvenzen von Projektentwicklern und Baufirmen. Im Bereich des Wohneigentums konnten sich die Preise für Neubauhäuser aufgrund mangelnder Bautätigkeit stabil halten (vgl. Abb. 1). Die zahlenmäßig gewichtigeren Bestände an Eigentumswohnungen und Bestandshäusern verloren jedoch sichtbar an Wert. Gemessen an den Höchstständen Mitte 2022 bis Ende Oktober 2023 hatten Bestandshäuser einen Verlust in Höhe von 15,8% zu verzeichnen, Eigentumswohnungen büßten 11,2% an Wert ein.
Investoren verhalten sich derzeit zurückhaltend im Bereich der Wohnimmobilien, aber auch Eigenheim-Interessenten scheuen die höheren Finanzierungskosten. Die aus Käufersicht notwendigen Abschläge, um der Marktlage Rechnung zu tragen, werden von potenziellen Verkäufern noch häufig ausgeschlagen. Daher kommen nur vermindert Transaktionen zu Stande – der Markträumungseffekt bleibt häufig aus.
Ähnlich verhält es sich auch bei den deutschen Gewerbeimmobilien, die ebenfalls spürbar unter Druck geraten sind. Hier ist das Bild sogar noch stärker verzerrt, da in 2023 kaum repräsentative Transaktionen in größeren Volumen stattfanden. Die Investorenseite, zumeist mit professionellem Hintergrund, ist noch nicht bereit, die hohen Abschreibungen in Kauf zu nehmen. Ein Großteil der beobachteten Transaktionen bezieht sich daher auf bereits vergangene Geschäftsanbahnungen zu besseren Konditionen für die Verkäuferseite. Mit jedem Quartalsabschluss und insbesondere zum Jahreswechsel stehen jedoch neue Bewertungsrunden an, die die Situation für bestehende Immobilienportfolien weiter verschlechtert. Die Wertentwicklung ist für Einzelhandelsimmobilien in Summe über den betrachteten langen Zeitraum sogar negativ (vgl. Abb. 2). Der Megatrend weg vom klassischen Einzelhandel hat den Immobilienmarkt in diesem Bereich nachhaltig belastet. Vom Bewertungshoch in 2018 bis Oktober 2023 ist der Kapitalwert im Index um 20,3% gesunken.
Auch Büroimmobilien werden durch die weiterhin hohe Zahl von Arbeitstagen im Home-Office sowie den gewachsenen Anforderungen an moderne Arbeitsplätze zusätzlich belastet. Darüber hinaus spielen ökologische Aspekte eine immer größere Rolle, insbesondere für institutionelle Investoren. Die sogenannten „Stranding Points“, also Kipppunkte, zu denen signifikante Investitionen in Immobilien notwendig werden, um nicht gegen europäische Klimaziel-Vorgaben zu verstoßen, machen weniger moderne Gewerbeimmobilien zusätzlich unattraktiv. Das Bewertungsniveau von Büroimmobilien ist im Index von seinem Hoch Mitte 2022 bis Oktober 2023 um 12,1% zurückgegangen.
Die Insolvenz der auch in Deutschland sehr aktiven Signa Real Estate des österreichischen Unternehmers und Investors René Benko markiert einen weiteren Tiefpunkt in der aktuellen Entwicklung und wird zusätzlichen Druck auf den Markt für Gewerbe- und Luxusimmobilien bringen. Zu Beginn des Jahres 2024 ist also von einer weiteren Verschlechterung der Marktlage für Immobilien in Deutschland auszugehen.
Mit verursacht wurde die aktuelle Situation durch die schnellen und kräftigen Zinsanhebungen der europäischen Zentralbank (EZB). Da man den deutschen Immobilienmarkt bei der EZB sehr wohl im Blick hat (siehe bspw. Finanzstabilitätsberichte von November 2023 sowie November 2021 der EZB), ist die Bestands-Abwertung scheinbar eine tolerierte Begleiterscheinung der Inflationsbekämpfung. Manch einer mag sich vor diesem Hintergrund fragen, ob es sich dabei um einen kontrollierten Kollateralschaden oder doch eher um einen drohenden Kollaps handelt.
In den USA hatte die Fed bereits deutlich vor der EZB gehandelt und die auch dort sprunghaft angestiegene Inflation entschieden bekämpft. Der amerikanische Immobilienmarkt ringt daher mit ähnlichen Problemen. Der Leerstand von 18,4% bei Büroimmobilien (laut CBRE) markiert ein 30-Jahres-Hoch nach Ablauf des dritten Quartals 2023 und die Pleite des Flexible-Office-Anbieters WeWork untermauert die angespannte Lage in diesem Segment.
Bei Wohnimmobilien zeigt sich dagegen ein anderes Bild: Der mittlerweile größte Teil der privaten Kreditnehmer hat eine lange Kreditlaufzeit zu einem fixen Zinssatz vereinbart (vgl. Abb. 3). Darüber hinaus wurde der größte Teil der ausstehenden Kredite zu deutlich günstigeren Konditionen als aktuell am Markt verfügbar abgeschlossen (vgl. Abb. 4). Dies führt dazu, dass amerikanische Besitzer von Wohnimmobilien versuchen, die Phase niedriger Bewertungen und hoher Finanzierungskosten einfach auszusitzen. Es finden weniger Umzüge und Immobilientransaktionen statt, was sogar bei der Fed als Anzeichen eines weniger flexiblen Arbeitsmarktes Erwähnung fand. Die Anzahl der nicht mehr bedienten privaten Immobilienkredite ist nicht nennenswert angestiegen.
Darüber hinaus ist man im Zinszyklus bereits vorangeschritten, die Fed hat wiederholt die Zinsen unverändert belassen und stellt mehrere Zinssenkungen für das Jahr 2024 in Aussicht. Eine Wiederholung der US-Häusermarkt-Krise scheint daher aktuell unwahrscheinlich.
Auch in Europa hat die anhaltende wirtschaftliche Schwäche dazu geführt, dass man bereits von nahenden Zinssenkungen ausgeht, auch wenn EZB-Präsidentin Christine Lagarde immer wieder auf eine datengetriebene Entscheidungsfindung verweist. Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, würde auch hierzulande das Korsett für Investoren etwas gelockert und die Finanzierungen wieder erschwinglicher werden. Das ist auch dringend notwendig, da die fehlende Bautätigkeit die vielerorts herrschende Wohnungsknappheit weiter verschärft.
Ein Kollaps des deutschen Immobilienmarktes kann aus unserer Sicht durch Zinssenkungen der EZB vermieden werden, Voraussetzung ist jedoch eine weiter rückläufige Inflation. Nichtsdestotrotz muss der scharfe Blick weiterhin den Gewerbeimmobilien und hier insbesondere den Büro- und Einzelhandelsflächen gelten. Die hohen Leerstände sowie die sich fortsetzenden Preisabschläge stimmen uns durchaus besorgt. Auch auf den Bankensektor, der große Volumen an Darlehen in diesem Segment begeben hat, kann der Druck schnell wachsen.