Go West! Europäische Aktien im Schatten der US‑Märkte
Vor drei Jahren initiierten wir unseren BlackPoint Evolution Fund mit einem Gewicht von rund 65 % amerikanischer Titel im Aktienportfolio. Die Devise „Go West“, die bereits 1850 zur Besiedlung Kaliforniens aufrief, trug durch die Dominanz des Silicon Valley im Technologiesektor zum Siegeszug des amerikanischen Aktienmarktes bei. Nicht zuletzt durch Technologiewerte hat sich in den letzten Jahren eine Diskrepanz zwischen den Aktienmärkten der Vereinigten Staaten und Europas herauskristallisiert. Trotz der häufig geäußerten Ansicht, dass europäische Aktien im Vergleich zu ihren amerikanischen Pendants unterbewertet sind, scheint der Mittelzufluss in US-Aktien ungebrochen. Dies wirft die Frage auf, warum Investoren – auch wir – trotz günstigerer Bewertungen, gemessen am Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), und attraktiveren Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) in Europa (siehe Abbildung 1) weiterhin den Märkten jenseits des Atlantiks den Vorzug geben. Das KBV des MSCI Europe, welches den Marktwert aller Unternehmen im Verhältnis zu deren Vermögenswerten abzüglich der Verbindlichkeiten widerspiegelt, liegt bei 2,1 und ist damit rund 59 % niedriger (attraktiver) als das des MSCI USA, das bei 5,1 notiert. Ein ähnliches Bild zeigt der Vergleich der Kurs-Gewinn-Verhältnisse: In Europa liegt es bei 15,9, was etwa 40 % unter dem Niveau der USA von 26,2 liegt.
Ein zentraler Grund für dieses Phänomen ist die überlegene Performance der US-Märkte in den vergangenen Jahren. Während der MSCI USA auf reiner Preisbasis um beeindruckende 185 % gestiegen ist (durchschnittlich 10,9 % pro Jahr), mussten sich Anleger im MSCI Europe mit einem moderaten Wertzuwachs von 51 % begnügen, was einer jährlichen Durchschnittsperformance von 4,2 % entspricht. Insbesondere der amerikanische Technologiesektor, der von Innovationskraft und starkem Wachstum geprägt ist, hat nicht nur überdurchschnittliche Renditen erzielt, sondern auch das Vertrauen der Investoren gestärkt. Große US-Technologiekonzerne wie Apple, Alphabet und Microsoft dominieren die globalen Märkte und bieten Anlegern weiterhin erhebliches Wachstumspotenzial.
Im Gegensatz dazu kämpft der europäische Aktienmarkt mit strukturellen Herausforderungen. Faktoren wie politische Unsicherheiten, eine fragmentierte Wirtschaft und eine geringe Dynamik im Technologiesektor haben die Attraktivität europäischer Unternehmen gemindert. Auch die vorherrschenden regulatorischen Rahmenbedingungen, die oft als hinderlich für Unternehmenswachstum und -innovation angesehen werden, tragen zu den wahrgenommenen Risiken bei.
Zudem spielt die Psychologie der Anleger eine entscheidende Rolle. Der Fokus auf US-Aktien wird nicht nur durch vergangene Erfolge, sondern auch durch die mediale Berichterstattung und den Trend zur Technologisierung verstärkt. Diese Faktoren schaffen eine selbsterfüllende Prophezeiung, bei der Investoren tendenziell den Märkten mit der besten Performance und den größten Wachstumsaussichten folgen.
Eine tiefere Ursache für die unterschiedliche Wachstumsdynamik sehen wir in dem Produktivitätsvorsprung der USA gegenüber Europa, was in der EU Befürchtungen einer „Wettbewerbskrise“ auslöst (siehe Abbildung 2). Politiker fordern daher verstärkte öffentliche und private Investitionen. Speziell in Deutschland wird von Seiten der Politik der Ruf nach einem Aussetzen der Schuldenbremse immer lauter. Ob die Schuldenbremse in Deutschland die Produktivität beschränkt, wäre noch zu erörtern. Über die geringe Digitalisierung im Vergleich zu anderen – auch europäischen - Ländern gibt es aber kaum Zweifel.
Es lässt sich festhalten, dass das Produktivitätswachstum in den USA in den letzten zwei Jahrzehnten doppelt so hoch war wie in Europa. Die Ursachen hierfür liegen weit zurück. Mario Draghi, ehemaliger Ministerpräsident Italiens, ist insbesondere für sein Versprechen vor 12 Jahren als Präsident der Europäischen Zentralbank bekannt, „alles Notwendige zu tun“, um den Euro zu retten. Seine Worte zeigten Wirkung: Die Schuldenkrise der Eurozone klang rasch ab. Allerdings war der Preis dafür ein jahrelang schwaches Wachstum, da die EZB die notwendige Liquidität bereitstellte, um harte Sparmaßnahmen zu überbrücken, ohne die erforderlichen strukturellen Reformen einzuleiten. Im Vergleich zu den USA liegt die Produktivität der europäischen Arbeitnehmer pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde niedriger. Hinzu kommt, dass europäische Arbeitnehmer deutlich mehr Urlaubstage haben und im Wochenvergleich auch weniger Stunden arbeiten. Und so verwundert es nicht, dass der Output pro gearbeiteter Stunde im US-amerikanischen Nicht-Landwirtschaftssektor seit 2019 um mehr als 6 Prozent gestiegen ist, in der Eurozone aber nur rund 1 Prozent.
Der jüngste Anstieg der US-Produktivität resultiert aus umfangreichen fiskalpolitischen Anreizen. Der Inflation Reduction Act (IRA) der USA, der 2022 verabschiedet wurde, setzt massive Investitionsanreize in saubere Energien und grüne Technologien. Mit einem Volumen von rund 370 Milliarden US-Dollar zielt das Gesetz darauf ab, die US-Wirtschaft zu dekarbonisieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Durch Steuervergünstigungen und Subventionen für grüne Technologien profitieren heimische Unternehmen und der Energiesektor erheblich, was das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft langfristig stärkt.
Für Europa jedoch birgt der IRA Nachteile. Europäische Unternehmen sehen sich im Wettbewerb benachteiligt, da die USA mit subventionierten Produkten international konkurrenzfähiger werden. Zudem wanderten Investitionen, die ursprünglich in Europa geplant waren, in die USA ab, was die europäische Industrie weiter schwächte. Dies verzögerte den wirtschaftlichen Aufschwung Europas nach den Herausforderungen der letzten Jahre. Europäische Länder drängen daher auf eine Anpassung ihrer eigenen Subventions- und Förderpolitik, um diesen Wettbewerbsnachteil abzufedern.
Unternehmen in der Eurozone erhielten nicht nur weniger strategische Unterstützung von ihren Regierungen, sondern waren auch von einem deutlich stärkeren Anstieg der Energiepreise infolge der russischen Invasion in die Ukraine betroffen. Die Fragmentierung der Finanzmärkte, eine uneinheitliche Fiskalpolitik und zunehmende Regulierung machen Europa zusätzlich anfällig für externe Einflüsse wie z.B. die Abhängigkeit der Exportwirtschaft von der chinesischen Konjunktur oder die Auswirkungen globaler Handelsbarrieren.
Trotz der anhaltenden Fokussierung auf US-Aktien sollte nicht übersehen werden, dass europäische Märkte zahlreiche Chancen bieten. In einigen Sektoren wie z.B. dem Gesundheitswesen zählen europäische Unternehmen wie Novo Nordisk zu den unangefochtenen Weltmarktführern. Die Bewertungsunterschiede auf Markt- und Unternehmensebene könnten ein Einstiegssignal für vorausschauende Investoren sein, die bereit sind, geopolitische und wirtschaftliche Risiken sorgfältig abzuwägen. So haben wir die potenzielle Marktbereinigung und die fortschreitende wirtschaftliche Erholung in China genutzt, um eine initiale Investition in BMW zu tätigen. Derzeit prüfen wir weitere Engagements in europäische Aktien und sind der Meinung, dass diese in den kommenden Monaten an Attraktivität gewinnen könnten. Vorausgesetzt, die europäischen Regierungen erkennen nicht nur die Notwendigkeit von Strukturreformen, sondern sind auch bereit, diese konsequent umzusetzen.