Zeit für
pragmatische Lösungen
Der Konflikt
Seit weit über 100 Tagen wütet der grausame Krieg in der Ukraine nun bereits und ein Ende ist nicht in Sicht. Derzeit sind keinerlei Ansätze für Friedensverhandlungen erkennbar, da die Positionen der beiden Kriegsparteien noch weit voneinander entfernt sind. Während Putin unbedingt militärische Erfolge erzielen möchte und mindestens den Donbass sowie Luhansk vollständig unter seine Kontrolle bringen will, wird die ukrainische Führung nicht müde, zu betonen, dass sie nicht bereit ist, Gebiete an Russland abzutreten. Ganz im Gegenteil: verlorene Territorien sollen schnellstmöglich zurückerobert werden.
Der Westen stellt sich bereits auf einen langwierigen Konflikt ein und unterstützt die Ukraine, zumindest in der Außendarstellung, nach Kräften mit Waffen, finanziellen Mitteln, politischer Unterstützung und symbolischen Gesten. Dies sorgt natürlich für Unmut auf der russischen Seite, die im Gegenzug wie befürchtet Europa schrittweise den Gashahn zudreht.
Das Energieproblem
Grundsätzlich stellt ein Energie-Engpass mangels russischen Erdgases eine ernsthafte Bedrohung der europäischen und - aufgrund hoher Abhängigkeit - insbesondere der deutschen Wirtschaft dar. Über die ohnehin sehr hohe Inflation entsteht jedoch zusätzlich ein negativer Sekundär-Effekt: Je höher die Energiepreise steigen, desto stärker steigen die Preise für Waren und Güter. Die EZB muss dem Preisanstieg mit Zinsanhebungen begegnen, was ebenfalls bremsend auf die Wirtschaft wirkt. Wir sind also wirtschaftlich erpressbar geworden und müssen uns schnellstmöglich von dieser Abhängigkeit befreien.
Die Politik sucht daher händeringend nach Lösungen, um die Energiesicherheit zurückzugewinnen. Zu den Bestrebungen gehören unter anderem Liefer-Bündnisse mit Ländern aus Afrika und dem Nahen Osten sowie die Verlängerung des Betriebes von Kohlekraftwerken. Sogar die erneute Energiegewinnung aus Atomstrom sowie Fracking in Deutschland stehen wieder zur Diskussion. Wie viel Zeit für einen Kurswechsel bleibt, zeigen die folgenden Grafiken.
Die Füllstände deutscher Gasspeicher (Abb. 1) nähern sich zwar dem historischen Mittelwert der für den aktuellen Zeitpunkt im Jahresablauf üblichen Menge, jedoch wird eine weitere Befüllung mit dem Ausbleiben russischer Lieferungen nicht möglich sein.
Füllstände deutscher Gasspeicher in %
Auch für die Stromerzeugung in Deutschland spielt Erdgas eine wichtige Rolle, mit leicht steigender Relevanz belegte es Platz 3 der Energieträger in den Jahren 2019 und 2021 (Abb. 2).
Bruttostromerzeugung in Deutschland für 2019 und 2021
Anfang Mai äußerte sich Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck zu den bisherigen Fortschritten: So wurde die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von russischem Öl bereits stark reduziert, bis zum Jahresende kann Deutschland komplett unabhängig von Russlands Öl sein. Bei russischem Gas konnte der Anteil von zuvor 55 Prozent auf etwa 35 Prozent reduziert werden.
Legt man diese Zahlen zugrunde, deckt russisches Erdgas aktuell rund 9,5 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs (Abb. 3). Mit pragmatischen Lösungsansätzen kann dieser Anteil hoffentlich zeitnah weiter reduziert werden.
Primärenergieverbrauch – Anteil der Energieträger in Deutschland 2020
Das Inflationsproblem
Von den steigenden Energiepreisen ist Europa stärker betroffen als die USA, die nicht zuletzt aufgrund der Schiefergas-Förderung seit geraumer Zeit Netto-Exporteur sind. Aber nicht nur die Energiepreise lassen in den meisten entwickelten Volkswirtschaften die Preisniveaus ansteigen – auch die Kern-Inflationsrate steigt deutlich an. Abermals aufgrund des Ukraine-Krieges verteuern sich viele Rohstoffe und Grundnahrungsmittel wie Weizen und Speiseöle. Auch Vor- und Zwischenprodukte sind teurer geworden, was auf Störungen der globalen Lieferketten zurückzuführen ist. Die Nachwehen der Lockdowns in China aufgrund der durchaus problembehafteten Null-Covid-Politik der Zentralpartei sind hier ein wesentlicher Treiber. In den USA werden die Entwicklungen zusätzlich durch einen knappen Markt an Arbeitskräften und Vollbeschäftigung verstärkt. Hier kommt es zu dynamischen Lohnsteigerungen in einigen Bereichen, die dann wiederum Produkte verteuern. In Deutschland und dem Rest Europas ist der Lohndruck deutlich weniger stark ausgeprägt, da der Arbeitsmarkt nur in wenigen Bereichen einen Mangel an Arbeitskräften aufweist. Doch mit dem Tarifabschluss der Stahlbranche in Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen von +6,5% für die nächsten 18 Monate plus Einmalzahlungen sowie der durchaus fordernden Haltung der Gewerkschaften für künftige Tarifrunden werden auch hierzulande Lohnsteigerungen durchgesetzt.
So erreichten wir im Mai eine Änderung der Inflationsrate von 8,6% im Jahresvergleich in den USA und 8,1% in der Eurozone. Diese Datenpunkte liegen deutlich über den Inflationszielen von Fed und EZB, die jeweils bei 2% liegen. Der Anteil der Preisanstiege bei Energie und Nahrungsmitteln ist insbesondere in Europa immens. Dies ist erkennbar, wenn man im Vergleich die Kerninflation, also die Inflation ohne diese Segmente, betrachtet (Abb. 4). Sinkende Energiepreise aufgrund drohender Rezession könnten also die Inflation überproportional abkühlen.
Inflation und Kerninflation seit Juni 2020
Das Zentralbanken-Dilemma
Während die Fed in ihrem dualen Mandat zumindest das Ziel des maximalen Beschäftigungsniveaus erreicht, läuft die EZB Gefahr, ihre Ziele komplett zu verfehlen. Nicht wenige Politiker, Ökonomen und Wirtschaftsvertreter sind daher der Meinung, dass zu spät auf die Preisanstiege reagiert wurde. Nachdem sie noch letztes Jahr als „transitorisch“, also vorübergehend, abgetan wurden, zeichnete sich spätestens seit der Ukraine-Krise ab, dass es vorerst keine sinkenden Preise gibt, sondern sich die Dynamik sogar deutlich verschärft. So ist nun höchste Eile geboten, das Schreckgespenst der Inflation wieder einzufangen. Trotz der drohenden Gefahren für das Wirtschaftswachstum müssen die Zentralbanken daher entschlossen reagieren, um den kurzfristigen Inflationssprung wieder unter Kontrolle zu bringen. Viele Marktteilnehmer sind selbst nach den angekündigten, aggressiven Maßnahmen der Notenbanken noch nicht vorbehaltlos überzeugt, dass dies zeitnah gelingen kann.
Natürlich könnten die Zentralbanken darüber hinaus weitere Maßnahmen ankündigen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Aufgrund nahezu unbegrenzter Feuerkraft heißt es nicht umsonst: „Stelle dich nie gegen den Kurs der Zentralbanken“. Dies könnte jedoch in naher Zukunft die Wirtschaftsleistung deutlich abschwächen, bis hin zur Rezession. Verbunden mit dann wiederum zwangsläufig sinkenden Inflationszahlen würde dies die Zentralbanken zu einer Kursumkehr zwingen. So stehen die Zentralbanken vor einem Dilemma: Ihnen bleibt nur ein schmaler Korridor, um die Inflation einerseits abzukühlen und andererseits die Wirtschaft nicht zu stark zu belasten. Es muss also bei rauem Wind eine weiche Landung gelingen.
Unser Umgang mit der aktuellen Situation
Nachdem sich sowohl die Inflationsdaten als auch die Prognosen zum Wirtschaftswachstum schlechter als zunächst erwartet entwickelt haben, haben wir die Gewichtung unserer Kernszenarien als Ergebnis der Szenario-Analyse angepasst. Die Veränderungen im Vergleich zu unserer letzten Veröffentlichung (Facts #1, Ende des ersten Quartals) macht deutlich, dass wir unserem Basis-Szenario immer noch eine hohe Wahrscheinlichkeit einräumen, die Risiken jedoch deutlich zugenommen haben:
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Basis-Szenario, Spätzyklisch (50%, vormals 55%)
Wachstum bei langfristig erhöhter Inflation
Anlagestrategie: Rohstoffe, Grundbedarfsgüter, Unternehmen mit Preissetzungsmacht, Gold
Begründung: Zentralbanken bekämpfen die Inflation entschlossen, können eine Rezession jedoch knapp verhindern -
Hochkonjunktur (10%, vormals 30%)
Inflation sinkt und Wirtschaft wächst wieder
Anlagestrategie: IT, Basic Materials, Value Zykliker, Industriewerte, Anleihen
Begründung: Rohstoffpreise fallen aufgrund abnehmender Marktdynamik, Lieferkettenprobleme und Konflikte im Welthandel entspannen sich, Wirtschaftswachstum kehrt zurück -
Rezession (30%, vormals 10%)
Schrumpfende Wirtschaft
Anlagestrategie: Defensive Anleihen, Gold, Cash
Begründung: Lang anhaltender Krieg im Osten Europas, Angebots-Schock bei Rohstoffen, De-Globalisierung, stark zunehmende Spannungen im Welthandel, weitere Risikofaktoren (z.B. neue schwerwiegende Corona-Mutationen) belasten das Wirtschaftswachstum -
Stagflation (10%, vormals 5%)
Stagnation bei erhöhter Inflation
Anlagestrategie: Utilities, Pharma, Consumer Staples, Defensive Value, Cash
Begründung: Geopolitische Spannungen haben begrenzten Einfluss auf die Weltwirtschaft, jedoch nachhaltige Verteuerung von Rohstoffen, Lieferkettenprobleme und Konflikte im Welthandel bleiben dauerhaft bestehen oder nehmen zu
Der BlackPoint Evolution Fund hat den aktuellen Ergebnissen der Szenario-Analyse Rechnung getragen: Seit Ende März wurde die Aktienquote von ~55,5% deutlich auf ~46% reduziert. Innerhalb der Aktienquote wurde die Selektion defensiver, mit einem Fokus auf robuste Ertragskraft und vor allem Preissetzungsmacht, ausgerichtet. So wurden unter anderem diskretionäre und zyklische Werte, aber auch Finanzwerte aus Europa und den USA, verkauft. Der Sektor der Grundbedarfsgüter wurde im Gegenzug etwas gestärkt, auch Gold wurde nochmals leicht erhöht. Die Anleihequote wurde mit ~1% lediglich leicht erhöht, hier wurde in kurzlaufende US-Staatsanleihen investiert bzw. fällige Papiere reinvestiert. In Summe führte dies zu einer deutlich höheren Vorhaltung an Barmitteln, die Cash-Quote ist von ~3,7% auf ~10,5% (inklusive kurzlaufender US-Anleihen ~20%) angestiegen.
Wie bereits in der Vergangenheit erwähnt, sind wir davon überzeugt, dass sich im aktuellen Umfeld Fehlbewertungen durch undifferenzierte Kurskorrekturen über ganze Segmente, Branchen und Indizes ergeben. Mittlerweile notieren Technologiewerte, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis, beinahe wie Konsumgüterwerte, die als besonders stabil gelten (Abb. 5).
Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis prognostizierter Gewinne (in einem Jahr)
Mit unserem Fokus auf Einzeltitel-Selektion wollen wir hier gezielt und maßvoll Chancen ergreifen und in Werte investieren, die uns überzeugen und nun im langfristigen Kontext günstig bewertet erscheinen. In extremen Marktphasen wie dieser zahlt sich eine stringente Anlagestrategie aus: So wird in Zeiten ansteigender Differenzierung von Risiken, verursacht durch ein Abebben der Flut von Zentralbank-Geld, die Titel-Selektion noch wichtiger werden. Bei tiefer Depression der Märkte kann durch mutiges Festhalten an der eigenen Investmentphilosophie der Grundstein für eine herausragende Wertentwicklung in den kommenden Jahren gelegt werden.